Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte
In Kooperation mit dem Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde werden ausgewählte Beiträge aus dem Projekt im Hessischen Jahrbuch für Landesgeschichte (72) veröffentlicht.
Im Zusammenwirken mit der Arbeitsgemeinschaft der Historischen Kommissionen in Darmstadt, Frankfurt, Marburg und Wiesbaden gibt das Landesamt seit 1963 das Jahrbuch heraus. Es enthält wissenschaftliche Beiträge, Rezensionen sowie die Tätigkeitsberichte der Historischen Kommissionen und des Landesamtes. Für das Jahr 2022 stellt uns das Hessische Landesamt die 72. Ausgabe des Jahrbuchs für die Veröffentlichung der zu den Abendvorträgen geschriebenen Beiträgen sowie weitere im Rahmen des Projekts entstandene Gastbeiträge zur Verfügung, wofür wir sehr herzlich danken!
Die Publikation erscheint im November 2022 und ist über den Buchhandel oder direkt über das Hessische Landesamt zu bestellen.
Die Forschung rund um die Studierenden- und Universitätsgeschichte ist untrennbar mit der Regional- und Landesgeschichte verknüpft und ermöglicht einen neuen Blickwinkel auf die Geschehnisse der letzten Jahrhunderte. Mit der Organisation der Veranstaltungsreihe möchten wir auf die Relevanz und das Potential der Forschung rund um „Studierende“ aufmerksam machen und zeigen, was für ein spannendes und quellenreiches Feld die Studierendengeschichte ist.
Die Publikation enthält folgende Beiträge:
Jana Buchert (Editorial)
„the students are very much in evidence“. Studierendengeschichte als Stadtgeschichte untersuchen
Wo vor rund hundert Jahren noch ein Studierender auf neun Bürger:innen kam, ist gegenwärtig fast jede:r Dritte in die Philipps-Universität eingeschrieben. Heute wie damals prägen die Studierenden die Stadt ökonomisch, politisch, kulturell und räumlich und werden zum Scharnier zwischen Hochschule und Gesellschaft. In Marburg besteht die üblicherweise enge Verflechtung von Stadt und Universität in besonderem Maße, schon seit Gründung der Universität richtet sich die Standortpolitik Marburgs nach ihr aus. Auch für die Hochschule selbst ist deren Standort von hervorgehobener Bedeutung. Studien zeigen, dass Studierende neben universitären insbesondere Standortvorteile bei der Begründung ihrer Hochschulwahl angeben. Demnach besteht sowohl bei Kommune als auch Hochschule ein Interesse an enger Zusammenarbeit. Die Erforschung von Studierendengeschichte verknüpft Universitäts- und Stadt- bzw. Landesgeschichtsforschung und erweist sich so als lohnenswertes Forschungsfeld.
Als einleitender Beitrag wird die Beschäftigung mit der Geschichte Studierender anlässlich eines Stadtjubiläums diskutiert und das Projekt „Studierendengeschichte(n) – 495 Jahre zwischen Stadt und Uni“ sowie die im Rahmen des Projekts entstandenen Beiträge im vorliegenden Band näher vorgestellt.
Christina Stehling
„daß ich in Zukunft in den häuslichen Creis gehöre“ – Vernetzungen und Beziehungen im Marburg des 18. Jahrhunderts
Persönliche Beziehungen und Netzwerke prägten die Gesellschaft des späten 18. Jahrhunderts. Am Beispiel des Tagebuchs des Studenten Melchior Kirchhofer lassen sich die unterschiedlichen Beziehungsgeflechte aufzeigen, in denen Professoren, ihre Familien, Studenten und Gewerbetreibende aus der Stadt agierten.
Ob es darum ging, dass der Student in einer fremden Stadt ein Zimmer benötigte oder Zugang zur Privatbibliothek einer Professorenfamilie erhalten sollte, elterliche Netzwerke wurden schon vor Studienbeginn aktiviert, um Kontakte in der Universitätsstadt zu nutzen oder zu initiieren. So öffneten Empfehlungsschreiben und Antrittsbesuche auch den Weg in das gesellschaftliche Leben Marburgs. Gleichzeitig waren Studenten für die Gewerbetreibenden Marburgs wichtige Konsumenten. Um neue Kunden akquirieren zu können, nutzten beispielsweise auch Stiefelputzerin oder Friseur persönliche Beziehungen. Sie ließen sich Empfehlungen von Landsleuten des Studenten geben, für die sie tätig waren oder beriefen sich darauf, bereits für Verwandte des Studenten tätig gewesen zu sein.
Die Einblicke, gerade in die Phase des Studienbeginns von Melchior Kirchhofer, zeigen auf, welche sozialen Beziehungsgeflechte in Marburg bestanden oder neu gebildet wurden, welche Gestaltungs- und Unterstützungsoptionen sie prägten und welche Relevanz sie für die Akteur:innen hatten.
Dr. Silke Lorch-Göllner
Pionierinnen an der Königlich Preußischen Universität Marburg – die ersten (Gast-) Hörerinnen
Die Autorin verfasst einen Beitrag zu ihrem Abendvortrag. Hier finden Sie den Abstract zum Vortrag:
Kristin Langefeld
Marburger Studenten im 18. Jahrhundert im Spiegel von Nachlassakten
Die heutige Marburger Studierendenschaft ist divers. Der Zugang zu universitärer Lehre ist weder an ein Geschlecht, noch an eine Herkunft, einen sozialen Stand oder eine politische Orientierung gebunden. Vielfältig sind auch die Lebensstile der Studierenden, sodass von einer spezifischen, mehr oder weniger einheitlichen Kultur kaum noch die Rede sein kann. Anders verhielt es sich im 18. Jahrhundert, als die – damals noch ausschließlich männlichen – Studenten eine eigene Standeskultur formten. Diese fand ihren Ausdruck unter anderem in bestimmten Vorlieben und Verhaltensweisen, die heute oftmals fremd erscheinen.
Einen direkten Zugang zur frühneuzeitlichen Studentenkultur gibt es nicht. Tagebücher und Biographien können zwar Einblicke in Lebensweisen angehender Akademiker geben, sie sind aber immer auch das Ergebnis von Perspektivierungen. Trotz des schwierigen Zugangs erscheint eine Betrachtung studentischer Kultur(en) erstrebenswert, denn der Alltag angehender Akademiker kann Aufschluss über die Werte und Vorlieben der frühneuzeitlichen Elitegesellschaft geben.
Der Beitrag entwirft auf der Grundlage von bisher von der Forschung vernachlässigten Nachlassakten ein plastisches Bild der studentischen Lebensweise im 18. Jahrhundert. Dabei zeugen die aufgelisteten und dokumentierten Besitztümer von einer materiellen Kultur und geben Aufschluss über Vorlieben und Verhaltensweisen der Universitätsbesucher.
Sarah Kramer
Zwischen Künstlertapeten, „studentischem Zusammengehörigkeitsgefühl“ und einem „Forum der Meinungsäußerung“. Die Studierendenzeitung „marburgerblätter“ (1951- 1977) als wertvolle Quelle der Studierendengeschichte(n)
180 Ausgaben. 27 Jahre. Unzählige Papierseiten, (Tapeten-)Cover, Worte, Meinungen, Leserbriefe, Fotografien und Zeichnungen. So könnte eine numerische Bilanz der Studierendenzeitung „marburger blätter“ ausfallen, die fast drei Jahrzehnte lang in und um die Marburger Philipps-Universität kursierte. Obwohl das Medium der Presse als wichtiger Grundpfeiler demokratischer Gesellschaften gemeinhin große Aufmerksamkeit genießt, stand die studentische Presse bislang weniger im Fokus der Forschung. Der Beitrag stellt die vom Marburger AStA herausgegebene Zeitung in den Mittelpunkt seines Interesses und versteht sich zugleich als Plädoyer für den Quellenwert studentischen Schreibens und die Nutzbarmachung der Zeitung hinsichtlich historischer Fragestellungen. In diesem Zusammenhang wird der Fokus sowohl auf inhaltliche Themenkonjunkturen als auch auf die Bildlichkeit und Erscheinungsweise des Mediums gelegt. Darüber hinaus werden die verschiedenen Ausgaben auf das darin formulierte Selbstverständnis bezüglich der Funktion und der Anliegen studentischer Presse hin untersucht. Nicht zuletzt gerät in diesem Kontext auch das dargestellte Verhältnis zwischen Universität und Stadt in den Blick.
Dr. Martin Göllnitz
Gewalt als Norm? Schlaglichter auf die Marburger Studierendengeschichte des 20. Jahrhunderts
Der Autor verfasst einen Beitrag zu seinem Abendvortrag. Hier finden Sie den Abstract zum Vortrag: