Von: Kalle Blömeke


1. Einleitung

Bei meinen Überlegungen, über wen ich diesen Essay schreiben möchte, sind mir neben einigen aktuellen und bekannten Politiker:innen wie Friedrich Merz oder Dirk Wiese natürlich auch historisch bedeutende Persönlichkeiten wie Otto Hahn in den Sinn gekommen. Während der Recherche für den vorliegenden Essay bin ich schließlich auf die beiden Brüder Spiros und Konstantinos Simitis aufmerksam geworden, um die es im Folgenden gehen soll. Die Gründe für diese Entscheidung sind folgende: Zum einen aus persönlichem Interesse und zum anderen fand ich es passend, dass in der Veranstaltungsreihe „Studierendengeschichte(n)“ neben den Brüder Grimm noch ein anderes Brüderpaar vorgestellt wird. Ich bin Kalle Blömeke, studiere Geschichte im Bachelor und befinde mich aktuell im 2. Semester.

Spiros und sein jüngerer Bruder Konstantinos sind gebürtige Griechen, entschieden sich aber aus vielfältigen Gründen für ein Studium in der Bundesrepublik. Spiros studierte Rechtswissenschaften und war bis zu seiner Emeritierung Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Zudem war er Datenschutzbeauftragter des Landes Hessen und Vorsitzender des Nationalen Ethikrates (1). Sein Bruder Konstantinos studierte neben Rechts- auch Wirtschaftswissenschaften, lehrte und promovierte ebenfalls in Deutschland, ehe er einem Ruf an die Pantion-Universität Athen folgte. Daran schloss er einen, für ihn nicht ungefährlichen, politischen Werdegang an, der ihm erst eine Reihe von Ministerposten und schließlich von 1996 bis 2004 das Amt des Ministerpräsident von Griechenland einbringen sollte (2).

2. Anfänge und Studium

Die Eltern der Brüder Simitis waren der Athener Professor und Rechtsanwalt Georg Simitis und seine Frau Fani, die während der deutschen Besatzungszeit in Griechenland im Widerstand tätig war. Spiros kam 1934 zur Welt, zwei Jahre später Konstantinos. Nach dem Abitur entschieden sich beide für ein Studium im Ausland. Trotz des noch nicht lange zurückliegenden Ende des Zweiten Weltkrieges wählten sie Deutschland als Studienort aus, da ihr Vater das deutsche Rechtswesen hoch geachtet hatte und insbesondere deswegen, weil das griechische Zivilgesetzbuch dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch weitgehend folgte. Ein weiterer Grund war die politische Lage in Griechenland. Nach dem Ende des dortigen Bürgerkrieges (1944-1949) übernahm der konservativ-royalistische Flügel die Kontrolle. Dieser tolerierte keinerlei von ihm abweichenden Auffassungen, sodass eine deutsche Universität ein Ort der größeren geistigen Freiheit darstellte. Später sagte Konstantinos, dass sie Marburg als Studienort wählten, da die Stadt, im Gegensatz zu Frankfurt, zumindest auf dem ersten Blick vom Elend des Krieges verschont geblieben war: „Das Schloss und die Altstadt förderten die Illusion, dass die Zeit ohne Zerstörungen und Konflikte vergangen sei“ (3).

Für die Brüder Simitis war Wolfgang Abendroth einer der wichtigsten Lehrer an der Universität . Der Politologe überschritt in seiner interdisziplinären Betrachtung der Politik konsequent die nationalen Grenzen, was vor allem den ausländischen Studierenden zu Gute kam. Zudem wurde Abendroth 1943 aufgrund seines aktiven Widerstandes gegen die Nationalsozialisten als Bewährungssoldat zwangsrekrutiert und mit einer Strafdivision nach Griechenland geschickt. Auch dieser Umstand stärkte die enge Verbindung der beiden Studenten mit Abendroth.

3. Spiros Simitis

Der ältere der beiden Brüder studierte von 1952 bis 1956 in Marburg Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Bereits im letzten Jahr seines Studiums legte er seine Dissertation ab, in der er die deutschen Normen des Zivil-, Arbeits- und Internationalen Privatrechts mit denen des Auslands verglich. Mit dem Ziel in Deutschland seine wissenschaftliche Tätigkeit fortzusetzen, wechselte er an die Goethe-Universität in Frankfurt, wo er sich 1963 habilitierte. Anschließend lehrte er einige Jahre an der Justus-Liebig-Universität Gießen, bevor er 1969 nach Frankfurt zurückkehrte. Dort hatte er bis ins hohe Alter eine Professur für Arbeitsrecht, Bürgerrecht und Rechtsinformatik inne und leitete die Forschungsstelle für Datenschutz. Auf letzterem Gebiet arbeitete er sich zu einem der führenden Wissenschaftler in Deutschland hoch, sodass er 1975 zum Datenschutzbeauftragte des Landes Hessen wurde, welches das weltweit erste Gesetz für Datenschutz verabschiedet hatte. Dadurch war er unter anderem an der Ausarbeitung des Datenschutzgesetzes auf Bundesebene beteiligt. Als das Bundesverfassungsgericht in den 1970er Jahren ein Urteil zur Volkszählung fällte, war Spiros der Erste, der die Anforderungen in einem verfassungskonformen Gesetz umsetzen konnte. Der Jurist nahm zudem die deutsche Staatsangehörigkeit an und äußerte massive datenschutzrechtliche Bedenken gegen das „Ausländerzentralregister“. Von 1982 bis 1986 war er Vorsitzender der Datenschutzkommission des Europarates. Sein Amt als hessischer Datenschutzbeauftragter gab er 1991 nach 15 Jahren freiwillig ab, blieb aber vor allem auf europäischer Ebene weiterhin aktiv. Außerdem erhielt Spiros neben seiner Tätigkeit in Frankfurt unter anderem in Paris und an der Yale University eine Gastprofessur.

Im Jahr 2001 wurde er Vorsitzender des neugegründeten „Nationalen Ethikrates“, der vor allem wegen seiner Empfehlungen zur ethischen Vertretbarkeit von Gen- und Biotechnologie gefragt war. Spiros sah eine völlige Forschungsfreiheit eher kritisch und sprach sich hier für gemeinsame europäische Richtlinien aus. In der darauffolgenden Zeit wurde er auch in europäische Ethikräte berufen, in denen der Deutsch-Grieche auch seine sprachlichen Fähigkeiten unter Beweis stellen konnte – er spricht fünf Sprachen fließend (4).

Bei seinen vielfältigen Tätigkeiten war ihm eine Sache besonders wichtig: Die Unabhängigkeit von der Politik. Er ist bis heute nie einer Partei beigetreten. So konnte er immer völlig frei und nach eigenen Maßstäben handeln.

4. Konstantinos Simitis

Ganz anders verlief die Karriere seines Bruders Konstantinos Simitis. Dieser studierte in Marburg ebenfalls Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, begann sein Studium jedoch 2 Jahre später und studierte von 1954 bis 1959. Anschließend promovierte er mit seiner Dissertation „Gute Sitten und ordre public. Ein kritischer Beitrag zur Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB“. Von 1961 bis 1963 ging Konstantinos nach London und studierte dort Wirtschaftswissenschaften, er begann jedoch zeitgleich eine Tätigkeit als Rechtsanwalt.

Zurück in Griechenland war er bis 1969 aktiver Teilnehmer im Widerstand gegen die dort herrschende Militärdiktatur. Er konnte damals einer Verhaftung nur entgehen, weil er illegal ins Ausland geflohen war. Jedoch nahm das diktatorische Regime seine Frau gefangen und hielt sie in Isolation. Konstantinos lebte daraufhin für 5 Jahre in Deutschland im Exil, von wo aus er den Widerstand als Mitglied der „Panhellenischen Befreiungsbewegung“ (PAK) fortsetzen konnte. An der Universität in Konstanz habilitierte er sich 1971 und erhielt daraufhin bis 1975 eine Professur für Bürgerliches und Handelsrecht an der Universität Gießen.

Nachdem die Diktatur in seinem Heimatland gestürzt worden war, entschied er sich, nach Griechenland zurückzukehren, um bei dessen politischen Wiederaufbau mitzuwirken. Konstantinos ist Gründungsmitglied der „Panhellenischen Sozialistischen Bewegung“ (PASOK) und leitete die Partei auch als Vorsitzender von 1996 bis 2004. Zudem erhielt er eine Professur an der Universität in Athen und bekleidete in den 1980er und 1990er Jahren verschiedene Ministerposten in der griechischen Regierung und war Abgeordneter im griechischen Parlament. In seiner Zeit als Wirtschaftsminister gelang es ihm, die Inflation von 25% auf 16% zu senken. Schließlich wurde Konstantinos Simitis im Jahre 1996 zum Regierungschef der Republik Griechenland ernannt. Bis 2004 hatte er dieses Amt inne und gilt seitdem als einer der prägendsten griechischen Politiker seiner Zeit. Er führte das Land aus der Finanzkrise, drückte die Inflation auf 2,6% und arbeitete am Abbau der riesigen Staatsschulden. Er wurde aber nicht nur durch seine wirtschaftlichen Reformen international bekannt, sondern auch durch seine Entspannungspolitik gegenüber der Türkei. Mit dem Ende seiner Ministerpräsidentschaft endete auch seine politische Karriere als Ganzes.

5. Rückblick auf die Marburger Zeit

2009 blickte Konstantinos Simitis in einem Interview für das „Marburger UniJournal“ auf sein Studentenleben und die Stadt Marburg zurück. Die Entscheidung für Marburg als Studienort habe sich für ihn sehr schnell als richtig erwiesen, da die Universität sich nach dem Krieg vor allem den politischen Wissenschaften und der Soziologie gewidmet hatte. Diese Disziplinen waren für den jungen Studenten von besonderem Interesse. Konstantinos empfand die Beziehungen zwischen Lehrenden und Studierenden als durchweg freundlich und ebenbürtig. An seine Marburger Zeit habe er einige schöne Erinnerungen. Speziell die Konzerte in der Elisabethkirche, die Bootsfahrten auf der Lahn sowie das muntere Studentenleben seien für ihn zwar ungewöhnlich gewesen, aber genau deshalb schaue er auf diese Erlebnisse gerne zurück.

Das Studium an sich beschrieb er als hin und wieder etwas langweilig; manchmal fehlte ihm in Marburg der „großstädtische Akzent“ (5). Andererseits habe er in seiner Zeit in London gemerkt, wie sehr er die Marburger Ruhe und Konzentration vermisse. Der Grieche war auch noch Jahre nach seinem Studium von der Offenheit für andere Sichtweisen und von der Arbeitsdisziplin in der Stadt an der Lahn beeindruckt: „Gerade die Marburger Zeit hat in mir die Hoffnung bestätigt, dass es eine bessere Zukunft geben könne, als es die vom Krieg und seinen Folgen geprägten Erwartungen andeuteten“ (6).

Fußnoten:

1 Eintrag „Simitis, Spiros“ in Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv, URL: http://www.munzinger.de/document/00000015230 (zuletzt eingesehen am 14.07.2022).

2 Eintrag „Simitis, Konstantin“ in Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv, URL: http://www.munzinger.de/document/00000017837 (zuletzt eingesehen am 14.07.2022).

3 Simitis, Konstantinos: Ort geistiger Freiheit, in: Philipps-Universität Marburg (Hg.), Marburger UniJournal (Nr. 33), Marburg 2009, S.34.

4 Graupner, Heidrun: Spiros Simitis. Weltgewandter Vorsitzender des Nationalen Ethikrates, Süddeutsche Zeitung, URL: https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Fulltext.act?parentAction=DirectArticleSearch (zuletzt eingesehen am 14.07.2022).

5 Simitis, Konstantinos: Ort geistiger Freiheit, in: Philipps-Universität Marburg (Hg.), Marburger UniJournal (Nr. 33), Marburg 2009, S. 35.

6 Ebd.