Von: Nico Will


Die Teilnahme an universitären Veranstaltungen war für Frauen nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Der gleichberechtigte Zugang zum Studiums wurde ihnen erst nach einem harten Kampf zuteil. Wenn man wie ich, Nico Will, im achten Fachsemester für das Lehramtsstudium eingetragen, in Marburg studiert, merkt man den Nachhall dieses Kampfes immer noch. Angefangen bei der verwendeten Gendersprache oder der bewussten Hervorhebung weiblicher Professorinnen auf einer Tafel im alten Universitätsgebäude. Diese Dinge lassen erahnen, dass dieses Thema immer mit einem gewissen Schmerz belastet bleibt. In diesem Beispiel soll es um die japanische Studentin Tadako Urata gehen, welche als erste weibliche Medizinerin in Deutschland einen Doktortitel erlangte.

Tadako Urata wurde 1873 als Tochter eines wohlhabenderen Kaufmanns und Schriftstellers in der Präfektur Kumamoto geboren. Von 1890 bis 1892 lernte sie auf einer Privatschule den Beruf einer Apothekerin, was den Grundstein für ihre medizinischen Laufbahn legte. Danach besuchte Urata die private Medizinhochschule Saiseigakushain in Tokio. Dort schloss sie ihr medizinisches Studium ab. Im Jahr 1899 legte sie ihre erste staatliche Prüfung ab, worauf sie ihre Approbation als Ärztin erhielt. Damit war sie die einundsechzigste öffentlich anerkannte Medizinerin Japans. Man kann erahnen, dass auch in Japan die Gleichstellung der Frau einer nur langsam fortschreitenden Entwicklung unterlag (1).

Um die Verhältnisse zu verstehen, in denen sich Tadako Urata in Deutschland wiederfand, müssen wir einen kleinen Exkurs zur Geschichte der deutschen Universitäten, beziehungsweise des deutschen Bildungssystems und der Stellung der Frau in diesem, machen. Preußische Universitäten waren mit die Letzten in Europa, die Frauen eine akademische Laufbahn ermöglichten. Marburg war 1866 preußisch geworden; erst im Wintersemester 1908/09 wurden Frauen zum Studium zugelassen. Obwohl seit dem 19. Jahrhundert höhere Schulen existierten, ließen diese nur männliche Schüler zu. Mädchen wurden oft privat unterrichtet oder gingen auf ebenfalls privat geführte Töchterschulen. Durch die Frauenbewegung gelang es im Laufe des 19. Jahrhunderts, eine Neugestaltung des Mädchenschulwesen zu erkämpfen. Jedoch blieben den Frauen der Zugang zu den Universitäten verwehrt. Die einzige Chance für Schülerinnen war es im Ausland, etwa in Frankreich, der Schweiz oder den USA, zu studieren.

Ab 1886 wurde es Frauen gestattet, als Gasthörerinnen an Vorlesungen teilzunehmen. Die ersten Hörerinnen in Marburg bestanden zur Hälfte aus ausländischen Studentinnen, welche oft aus Amerika oder England kamen. Die ersten Fakultäten, an denen sich Frauen ihren Platz erkämpft hatten, lagen im Bereich der Medizin. Grund war zum Beispiel das Bedürfnis von weiblichen Patientinnen, auch von weiblichen Ärztinnen behandelt zu werden, aber auch, weil die Frau für den Heilberuf als besonders geeignet galt. Schließlich gelang es mittels einer Petition vor dem Deutschen Reichstag am 11. März 1891, dass Frauen der Zugang zur Universität gewährt wurde. Dadurch stieg die Zahl der Studenten und Studentinnen explosionsartig an. Wo die Universität Marburg im Jahr 1876 knapp über 400 Studenten aufzuweisen hatte, so stieg diese Zahl bis ins Jahr 1914 auf mehr als 2100 Studenten und Studentinnen an. Damit war es aber noch nicht genug. Ein paar Jahre später, am 20. April 1899, wurden schließlich Frauen zum ärztlichen, pharmazeutischen und zahnärztlichen Staatsexamen zugelassen. Das Habilitationsrecht wurde Frauen jedoch erst ab 1920 gewährt (2).

Nun zurück zu unserer Vorreiterin. Im Jahre 1903 kam Urata nach Deutschland, mit dem Ziel in Berlin zu promovieren. Allerdings wurden ihre Pläne zunichte gemacht, als sie feststellte, dass es Frauen zu dieser Zeit nicht möglich war, in Berlin den Doktortitel zu erlangen. Daraufhin wechselte sie ihren Studienort nach Marburg, wo es unter bestimmten Auflagen möglich war, als Frau eine Promotion abschließen zu dürfen. Auf die Stadt Marburg kam sie durch ihre Arbeit am Forschungsinstitut des Bakteriologen Shisabura Kitasato, an dem sie mehrere Jahre zuvor gearbeitet hatte. Ein Kollege Kitasatos war Emil von Behring, ein bekannter Impfpionier aus Marburg. Um sich in Marburg einzuschreiben, bedurfte es einer Sondergenehmigung, da das Studium für Frauen zu dieser Zeit noch offiziell verboten war. Ihr Studium begann also im Sommersemester 1903. In Marburg hatte sie engen freundschaftlichen Kontakt mit Sunao Tawara, einem japanischen Doktoranden im Bereich der Pathologie. Nach beiden Medizinern ist der ‚Aschoff-Tawara-Knoten‘ benannt, eine bestimmte Region des Herzens, welches Impulse vom Sinusknoten aufnimmt und in die Herzhammer weiterleitet.

Ihre Promotionsschrift „Experimentelle Untersuchungen über den Wert des sogenannten Credéschen Tropfens“ ermöglichte es ihr, am 28. Februar 1905 bei Ludwig Bach zu promovieren. So wurde Tadako Urata die erste Medizinerin, die in Deutschland den Doktortitel erhielt. Ein Jahr später kehre sie nach Japan zurück und eröffnete eine Augenheilpraxis in Tokio. 1911 heiratete sie Nakamura Tsunesaburō, mit welchem sie im folgenden Jahr eine Privatklinik in Tianjin, in China, eröffnete. Diese bestand bis 1932. 1934 kehrte sie schließlich nach Japan zurück und starb am 18. Juni 1935 in Tokio (3).

Tadako Urata war für die damaligen Studentinnen ein Lichtblick in einer für Frauen doch so dunklen, patriarchischen Welt. Sie konnte ihnen zeigen, dass es doch nicht unmöglich war, als Frau eine höhere akademische Laufbahn einzuschlagen. Jedoch sollten wir uns auch vor Augen halten, dass es sich hier um den medizinischen Bereich handelte, in dem ihr Doktortitel erworben wurde, also einen für Frauen eher typischen Bereich. Die Zeiten mögen sich nun vollkommen geändert haben. Wo es früher Frauen in den Universitäten verboten wurde, überhaupt eine Rolle spielen zu dürfen, sind heute über fünfzig Prozent der Studierenden, allein an der Philipps-Universität, weiblich. Frauen mussten Jahrhunderte lang darum kämpfen, dass die patriarchalischen Strukturen von Lehr- und Verwaltungskörpern aufgebrochen wurden. Es schadet nicht, einen Blick auf diesen langwierigen Prozess zu werfen und sich dieser Vergangenheit bewusst zu machen, um so die heutigen Verhältnisse mehr wertschätzen zu können und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, das längst nicht alle Ziele der Gleichstellung erreicht sind.

Fußnoten:

1 Ludger Fittkau: Langer Kampf um gleiche Rechte, Deutschlandfunk, https://www.deutschlandfunk.de/frauenan-universitaeten-langer-kampf-um-gleiche-rechte-100.html (zuletzt eingesehen am 19. Juli 2022).

2 Marita Metz-Becker: Frau Doktor hinterm Fenster, Marburg, https://www.unimarburg.de/de/uniarchiv/unijournal/frauenstudium-muj-10-2008.pdf (zuletzt eingesehen am 19. Juli 2022).

3 Aeka Ishihara: Japanische Medizinerinnen in Deutschland 1890-1905. Mizuko Takahashi und Tada Urata, Bern 2012.