Von: Stefan Mader


Ich – Stefan Mader, Student der Geschichte und Germanistik auf Lehramt im 10. Semester an der Philipps-Universität Marburg – will im vorliegenden Essay auf Elisabeth Blochmann eingehen, die als eine der ersten Professorinnen in Marburg tätig war und zu diesem Zeitpunkt schon auf ein bewegtes Leben zurückblickte.

Wer in Marburg unterwegs ist, wird dem Namen Elisabeth Blochmann wahrscheinlich schon einmal, mehr oder weniger bewusst, begegnet sein. Zwischen Erlenring und Studierendenmensa liegt ein Platz, der ihren Namen trägt. Doch wie bei so vielen Straßennamen wissen wohl die Wenigsten, wer Elisabeth Blochmann war, auch wenn eine kleine Ergänzungstafel unter dem Straßenschild hängt. Der Name des von mir täglich überquerten Platzes weckte meine Aufmerksamkeit, was zunächst zu einer klassischen Google-Recherche führte und nach tiefergehender Recherche in diesem Essay mündet. Dieser soll die Fragen beantworten: Wer war Elisabeth Blochmann? Und: Was hat sie getan, dass die Stadt Marburg einen Platz nach ihr benannt hat?

Blochmann wurde 1892 geboren und wuchs als behütetes Kind eines Staatsanwaltes in wohl situierten Verhältnissen auf. Ihr Bildungsweg führte sie über Weimar, wo sie an einer höheren Mädchenschule das Lyzeum und Oberlyzeum (1) abschloss, woraufhin sie nach Beendigung eines Seminarjahres in Wiesbaden das Lehrerinnenexamen ablegte. Anschließend kehrte sie an ihre ehemalige Mädchenschule als Lehrerin zurück und sammelte erste praktische Erfahrungen.

1917 nahm sie ein Studium in Straßburg auf, wo sie über ihre gute Freundin Elfride Petri (2) Martin Heidegger kennenlernte, mit dem sie bis zum Ende seines Lebens und trotz seiner nationalsozialistischen Aktivitäten Kontakt hielt. Sie studierte Geschichte, Germanistik, Französisch und Philosophie (bzw. Pädagogik, was damals noch eine Strömung der Philosophie und keine eigenständige Wissenschaft war). Im Wintersemester 1918/19 studierte sie in Marburg und machte so erste Berührungen mit der Stadt, die später einen Platz nach ihr benennen sollte. Aus dieser Zeit ist wenig überliefert, lediglich die Professoren (3), bei denen sie ihr Studium betrieb. In ihrer Zeit in Marburg wohnte sie in Zwischenhausen, nahe der Elisabethkirche. Nach nur einem Semester wechselte sie erneut die Universität, begab sich nach Göttingen, wo sie ihren lebenslangen Freund und Förderer Herman Nohl als Dozenten kennenlernte, der sie nachhaltig beeinflusste. In Göttingen legte sie 1922 das Staatsexamen für das höhere Lehramt ab und promovierte im folgenden Jahr (4). Beide Abschlussarbeiten legte sie auf dem Gebiet der Germanistik ab, ihr Studium war aber immer an solchen Dozierenden orientiert, die sich für die Mädchenbildung einsetzten. Diese Orientierung lässt sich schon an den Professoren in Straßburg nachvollziehen und setzte sich in Marburg und Göttingen fort. Ob sie freiwillig stattfand, oder mehr oder minder zwangsweise (5), lässt sich nicht mehr klären.

Nach ihrem Studium hatte sie zunächst einige Stellen als Lehrerin und als Dozentin am Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin, bevor sie einen Ruf als Professorin an die neu gegründete Pädagogische Akademie in Halle erhielt. Hierzu ist zu erwähnen, dass Preußen sich dagegen entschieden hatte, das Lehramtsstudium in die ordentlichen Universitäten zu integrieren und alternativ jene pädagogischen Akademien gründete, um zukünftige Volksschullehrkräfte auszubilden. Wissenschaftlich befasste sich Blochmann bis zum zweiten Weltkrieg primär mit der frühkindlichen Erziehung, wo sie sich unter anderem für die Kindergärtnerin als eigenständigen pädagogischen Typus einsetzte und den Kindergarten als Ort definierte, in dem der Altersstufe entsprechend gespielt und der Ablöseprozess von den Primärpersonen (6) gefördert werden kann. Sie versuchte, die gesellschaftlich-politische Situation realistisch einzuschätzen und plädiert gegen eine Kindergartenpflicht, weil sie die Zeit dafür noch nicht für reif hielt.

Im Nationalsozialismus sah sie sich vor große Probleme gestellt. Als das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 1933 erlassen wurde, verlor Blochmann, deren Mutter Jüdin war, sowohl ihre Anstellung an der Universität, als auch jede berufliche Perspektive. Sie bat ihren Freund Martin Heidegger, der als Universitätsdekan nach Freiburg berufen wurde, ihr zur Seite zu stehen und seinen Einfluss zu nutzen, um ihre berufliche Laufbahn zu retten (7), er konnte aber wenig erreichen. Immerhin stellte er ihr ein Zeugnis aus, mit dem sie sich nach ihrer Emigration nach England in Oxford eine Stelle organisieren konnte. Dort kannte sie, unter anderen, die Tochter Hermann Nohls, was es ihr ermöglichte, in England Fuß zu fassen. In Oxford nahm sie die britische als zweite Staatsbürgerschaft an und wurde, nach wenigen Zwischenstationen, Dozentin für Deutsche Literatur.

1952 – Blochmann hätte mit ihren nun 60 Lebensjahren in England in Rente gehen können – erhielt sie den Ruf der Universität Marburg auf die neu gegründete Professur für Pädagogik, den sie annahm. Zum 01.01.1952 wurde sie kommissarische, am 25.11.1952 (oder 1.7.1952, die Literatur widerspricht sich hier) ordentliche Professorin für Pädagogik an der Universität Marburg. Damit setzte sie einen Meilenstein in der Gleichberechtigung, da sie als zweite weibliche Professorin in Marburg und als deutschlandweit erste Professorin für Pädagogik an einer allgemeinen Universität lehrte. In ihrer Zeit an der Philipps-Universität beschäftigte sie sich in ihren Vorlesungen vor allem mit allgemeiner Pädagogik und der Geschichte der Pädagogik in Deutschland. 1959 gründete sie mit anderen Professoren den interdisziplinären Arbeitskreis „Sozialpädagogisches Arbeiten“, der die von Blochmann bereits früher geäußerte Idee verfolgte, dass Lehrkräfte über ihren „persönlichen Umkreis hinaus die sozialen und wirtschaftlichen Gewalten sehen“ lernen, also einen Kontakt zu den eigentlich prägenden Mächten erhalten, die auf die Schüler:innen einwirken, da die Lehrperson selbst hier einen eher geringen Einfluss habe. Zu diesem Zweck sollten die Studierenden die Gelegenheit erhalten, mit Praktiker:innen in Kontakt zu kommen, sowohl aus dem pädagogischen, als auch aus anderen Bereichen. Dieser Arbeitskreis wurde von Blochmann bis zu ihrem Tod 1972, kurz vor ihrem 80. Geburtstag, weiter betreut und zerfiel mit ihrem Ableben (8).

Nach ihrer Emeritierung 1960 übernahm sie noch einmal für ein Semester in Göttingen einen Vertretungsprofessur für Hermann Nohl, der im Semester verstarb. Später schrieb sie über den Professor, dem sie seit ihren Studientagen in Göttingen eng verbunden war, eine Biographie.

Ihr Leben in Marburg spielte sich wohl primär in der Ockershäuser Allee ab, wo sie eine Wohnung bezogen hatte, zumindest während ihrer Lehrtätigkeit in der Gutenbergstraße 18, in der heute der Fachbereich Psychologie der Philipps-Universität untergebracht ist.

Privates über sie herauszufinden erweist sich als äußerst schwierig, sie lud gerne Kolleg:innen zu sich ein, machte Studienfahrten mit Studierenden und war eine engagierte Professorin, deren Hauptanliegen es war, sich für die Emanzipation der Frau einzusetzen, vor allem im Bildungswesen, da sie dieses als Grundlage der eigenständigen, von der Typisierung durch Männer befreiten Entwicklung der Frau ansah. Sie selbst hatte ihr Leben lang, auch in Marburg, mit den Vorurteilen zu kämpfen, die der Vorreiterin im universitären Rahmen begegneten. Ihre Berufung auf die Professur konnte nur gegen Widerstände durchgesetzt werden, die sich nicht auf ihre Person, sondern primär ihr Geschlecht bezogen, was sie einige Kollegen auch hin und wieder spüren ließen. Zum Thema der Emanzipation der Frau befasste sie sich auch nach ihrer Emeritierung noch intensiv und veröffentlichte weitere Schriften zum Thema.

Eine kleine Anekdote soll das Bild von Elisabeth Blochmann, die als verschlossene Person galt, abrunden:

Als sie an die Universität in Marburg berufen wurde, stellte sich die Frage, wie das Problem der während des Nationalsozialismus aberkannten Staatsbürgerschaft gelöst werden sollte. Da sie diese nie vor einem Amt offiziell aufgegeben hatte, war sie der festen Ansicht, dass sie als deutsche Staatsbürgerin angestellt werden könne. Demnach bestand Sie darauf, die deutsche Staatsbürgerschaft nicht erneut zu beantragen. Die Nationalsozialisten hatten sie ohne ihr Zutun ausgebürgert. Im Endeffekt wurde sie, aufgrund ihrer Weigerung, die Staatsbürgerschaft neu zu beantragen, und damit die Entscheidung des Hitler- Regimes nachträglich anzuerkennen, als britische Staatsbürgerin in den Dienst der Universität gestellt (9). Diese Anekdote zeigt ihren Kampfgeist und ihre Entschlossenheit sich für die Dinge einzusetzen, die ihr wichtig waren.

Damit sollte nun ein Eindruck entstanden sein, wer Elisabeth Blochmann war und warum die Stadt Marburg einen Platz mit ihrem Namen ehrte.

Warum aber ist diese potentielle Ikone der Gleichberechtigung heute kaum präsent, wo doch die öffentliche Diskussion um Gleichberechtigung mit ähnlicher Intensität geführt wird, wie sie es schon damals wurde, und warum trägt auch die Universität Marburg diese Frau nicht als Leuchtfeuer dessen vor sich her?

Hier lassen sich nur Vermutungen anstellen. Vielleicht weil die frühkindliche Erziehung, mit der sie sich befasste, im Gymnasiallehramt kaum eine Rolle spielt? Vielleicht weil sich die Debatte um Gleichberechtigung pluralisiert hat? Die Rollen von Jungen und Mädchen sind in der Bildung in den letzten Jahren nicht mehr der Fokus der Diskussion, angesichts von Inklusion, Integration und dem vor allem an den Universitäten präsenten Themen der LGBTQ+ Community.

Vielleicht auch, weil ihre Ansicht von der Emanzipation der Frau nicht der heute in der breiten Masse gängigen entspricht, wie Juliane Jacobi schon zum 100. Geburtstag von Elisabeth Blochmann feststellte. Nach Jacobi sei Blochmann eine Vertreterin eines Emanzipationsbildes, welches die Stärken von Frauen hervorhebt und ihnen somit, abgelöst von den Typisierungen der Männer, einen eigenen Status zuweist. Das aktuell gängige Bild zielt aber nicht auf eine Sonderstellung der Frau, sondern auf Gleichstellung und Gleichberechtigung ab, was dem Ansatz Blochmanns, laut Jacobi, widerspricht (10).

Fußnoten:

1 Anm.: Abschluss der höheren Mädchenschule, vergleichbar mit dem Abitur bei Jungen.

2 Anm.: Heiratete 1917 Martin Heidegger und nahm seinen Namen an.

3 Anm.: Hier wird explizit auf Gendern verzichtet, da in dieser Zeit nur männliche Professoren an der Universität waren.

4 Leonhard Froese: Elisabeth Blochmann, in: Ingeborg Schnack (Hrsg.): Marburger Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen. In Verbindung mit der Philipps-Universität Marburg, Nr. 35, Marburg 1977, S. 42-47.

5 Anm.: Professoren konnten selbst entscheiden, ob sie weibliche Studierende an den Veranstaltungen teilnehmen ließen oder nicht; somit waren Professoren, die sich für die Frauenbildung einsetzten ein guter Anlaufpunkt für junge Frauen im Studium.

6 Anm.: Eltern.

7 Joachim W. Storck (hrsg.): Martin Heidegger Elisabeth Blochmann. Briefwechsel 1918-1969, Marbach am Neckar 1989, S. 64-67; Inge Auerbach: Catalogus professorum academiae Marburgensis. Zweiter Band: Von 1911 bis 1971, Marburg 1979, S. 469f. Joachim W. Storck (hrsg.): Martin Heidegger Elisabeth Blochmann. Briefwechsel 1918-1969, Marbach am Neckar 1989.

8 Wolfgang Klafki, Helmut-Gerhard Müller: Elisabeth Blochmann. (1892-1972), in: Schriften der Universitätsbibliothek Marburg 62, Erweiterter Katalog zur Ausstellung: Elisabeth Blochmann (1892-1972). Die erste Professorin für Pädagogik an der Philipps-Universität, Marburg 1992.

9 Helmut-Gerhard Müller: Elisabeth Blochmann (1892-1972) in Marburg an der Lahn, in: Frauen in Marburg : ein Lauf- und Lesebuch, hrsg. v. DGB-Kreis Marburg-Biedenkopf in Zusammenarbeit mit der Frauenbeuaftragten der Stadt Marburg, Marburg 1993, S. 41-70.

10 Juliane Jacobi: Elisabeth Blochmann zum 100. Geburtstag, in: Neue Sammlung: Vierteljahresschrift für Erziehung und Gesellschaft 32 (1992), S. 317-326.