Von: Sarah Kramer


Hausarbeiten, Klausuren, Essays, Exposés, Diplomarbeiten, Examensarbeiten, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten… Schreiben ist ein fester Bestandteil des studentischen Alltags und man kann nur erahnen, wie viele Seiten allein im vergangenen Wintersemester an der Universität Marburg aus der Feder – oder besser aus den Tastaturen – geflossen sind. Dass Studierende schreiben, ist also nichts Neues. Gelesen werden diese Seiten jedoch in den meisten Fällen lediglich von den Lehrenden. Es gibt allerdings auch Formen studentischen Schreibens, die sich explizit an die Öffentlichkeit und somit an eine breitere Leserschaft richten. Ein Beispiel wären Flugblätter, zu deren Quellenwert ich einen spannenden Aufsatz von Anton Guhl, Malte Habscheidt und Alexandra Jaeger empfehlen kann.1 Ein weiteres Beispiel, und darum soll es in dieser Podcastfolge gehen, sind studentische Zeitungen. Mit dem Strukturwandel und der Entwicklung der deutschen Studentenpresse seit ihren Ursprüngen Anfang des 19. Jahrhunderts beschäftigt sich der Publizistikwissenschaftler Hans Bohrmann in einer Studie von 1975.2 Davon abgesehen gibt es zwar ein paar Fallstudien zu lokalen Studierendenzeitungen, insgesamt stand die studentische Publizistik bislang jedoch weniger im Fokus der Forschung. Wie viele Studierendenzeitungen kennen Sie beim Namen? Das wohl bekannteste deutsche Beispiel, über das mittlerweile auch schon Einiges geschrieben wurde, stammt aus Hamburg – es handelt sich um die „konkret“.3 Diese ging 1957 aus ihrem Vorläufer, dem „Studentenkurier“, hervor und etablierte sich um Klaus Rainer Röhl und Ulrike Meinhof schnell zu einer Zeitung, die im linken Meinungsspektrum über Hamburg und auch über die Universitäten hinaus rezipiert wurde. Sie erscheint bis heute, ist aber schon längst keine Studentenzeitschrift mehr. Einen derartigen Bekanntheitsgrad haben Zeitungen aus Marburg zwar nicht erreicht – aber auch hier wurde viel geschrieben und veröffentlicht, in den 1960er Jahren erschienen mit „5 vor 12“, „sine sine“ und den „marburger blättern“ streckenweise mehrere Studentenzeitungen nebeneinander. Eine davon, und zwar die „marburger blätter“ (mb), soll im Podcast näher vorgestellt werden. Diese Zeitung wurde vom Allgemeinen Studentenausschuss (AStA) der Philipps-Universität herausgegeben und erschien von 1951 bis 1977, etwa drei bis vier Mal pro Semester. Mit diesem Beitrag sollen ein paar exemplarische Einblicke in die Studentenzeitung gegeben werden, von denen aus weitergelesen und geforscht werden kann. Es empfiehlt sich, parallel zum Podcast die „marburger blätter“ vorliegen zu haben, selbst durchzublättern und weiter zu stöbern. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder bestellen Sie sich einzelne Ausgaben online über das Archivinformationssystem des Hessischen Landesarchivs direkt in den Lesesaal am Friedrichsplatz, denn dort ist auch das Universitätsarchiv angesiedelt.4 Oder Sie besuchen die Universitätsbibliothek im Alten Botanischen Garten – auch hier stehen alle Ausgaben, nicht einzeln, sondern gebunden in vier Bänden, im Regal. Die genaue Signatur und den Standort erfahren Sie über das Rechercheportal der UB, den Katalog Plus.5 

Die Betrachtung der Zeitung kann die Universitätsgeschichte um studentische Perspektiven ergänzen und zeichnet ein Bild von studentischen Anliegen, Interessen, Aktivitäten und Diskursen in einem Zeitraum von fast drei Jahrzehnten. Wie entwickeln sich Themenkonjunkturen und Sichtweisen? Welche Erkenntnisse lassen sich aus den verschiedenen Sparten und dem sich wandelnden Aufbau der Zeitung ziehen? Nach ihrer Gründung versorgten die „marburger blätter“ die Studierenden mit praktischen Informationen zur Beschaffung von Kohle, zur Wohnsituation oder zu Prüfungen und Entwicklungen an der Hochschule. Schon bald etablierte sich eine ausgedehnte Feuilleton-Rubrik, die über (lokale) Musikveranstaltungen und Theateraufführungen berichtete und zudem Raum für Buchbesprechungen und literarische Erzeugnisse der Studierenden selbst bot. Seit ihrer Anfangszeit beschäftigte sich die Zeitung aber auch immer wieder mit über die Hochschule hinausgehenden Thematiken, etwa den Ereignissen des 20. Juli 1944 oder gesamtdeutschen Fragen. Seit Mitte der 1960er Jahre wurde vermehrt über Protestaktivitäten vor Ort berichtet, während in den 1970er Jahren die gewerkschaftliche Orientierung des AStA sowie internationale politische Kämpfe in Chile oder Portugal im Vordergrund standen. Die Sparte der Leserbriefe eröffnet die Möglichkeit, Reaktionen auf bestimmte Artikel zu analysieren und somit Einblicke in (studentische) Sichtweisen abseits der Autor:innen der Zeitung selbst zu erhalten. Denn insgesamt wird deutlich, dass die Inhalte der „marburger blätter“ nicht repräsentativ für die gesamte Studentenschaft stehen, sondern stark von der häufig wechselnden Zusammensetzung der jeweiligen Redaktion abhingen. Die Heranziehung weiterer Quellen ist also geboten, um die Inhalte und Entwicklung der Zeitung zu kontextualisieren. Diese können Flugblätter, überregionale und lokale Presseberichterstattung, Überlieferungen aus dem Hessischen Kultusministerium, Plenarprotokolle des Hessischen Landtags oder Sitzungsprotokolle universitätsinterner Gremien sein. In vergleichender Perspektive können für den entsprechenden Zeitraum die Studierendenzeitungen anderer Standorte, etwa Frankfurt, Freiburg oder Mainz betrachtet werden oder auch alternative Studierendenzeitungen der Universität Marburg. Abseits der Universitätsgeschichte bieten die „marburger blätter“ auch Ansätze für biographische Fragestellungen, da einige Autor:innen nach ihrem Studium in Politik, Wissenschaft oder überregionalen Zeitungen gelandet sind und heute einen hohen Bekanntheitsgrad tragen.  Ihnen fällt bestimmt noch mehr ein und Sie haben eigene Ideen. Vielleicht möchten Sie die „marburger blätter“ aber auch nur zum Vergnügen lesen. So oder so: Machen Sie sich einen eigenen Eindruck und lesen Sie los. Ich wünsche eine gute Lektüre!

Fußnoten:

1: Vgl. Anton F. Guhl u.a., Über den wissenschaftlichen Wert flüchtiger Quellen. Das Flugblattarchiv der Hamburger Bibliothek für Universitätsgeschichte – Eine Würdigung des Sammelns, in: Ders. u.a. (Hg.), Gelebte Universitätsgeschichte. Erträge jüngster Forschung. Eckart Krause zum 70. Geburtstag, Berlin / Hamburg 2013, S. 207–225.

2: Vgl. Hans Bohrmann, Strukturwandel der deutschen Studentenpresse. Studentenpolitik und Studentenzeitschriften 1848–1972, München 1975.

3: Vgl. etwa Frederik Obermaier, Sex, Kommerz und Revolution. Vom Aufstieg und Untergang der Zeitschrift „konkret“ (1957-1973), Marburg 2011.  

4: https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/start

5: https://hds.hebis.de/ubmr/index.php