Frau Dr. Silke Lorch-Göllner eröffnete uns Einblicke in die Studienbedienungen der „Pionierinnen an der Königlich Preußischen Universität Marburg“, den ersten Studentinnen an unserer Universität.
Obwohl Studentinnen eigentlich nicht der richtige Begriff ist, ging es doch explizit um die Pionierinnen, also einige diejenigen Frauen, die vor dem Immatrikulationsrecht für Frauen an der Universität also sog. Hospitantinnen studierten und promovierten.
Nach einem Überblick über die Bildungsbedinungen für Frauen und Mädchen in Preußen, dass von Seiten des Kultusministeriums stets das Frauenstudium mit nötigen Reformen im Mädchenschulwesen verknüpft einführen wollte, widmete sich Frau Lorch-Göllner der ersten Marburger Promovendin, Tadako Urata und der Medizinischen Fakultät.
Urata, die seit 1899 in Japan als Augenärztin approbiert war, war 1903 nach Preußen gekommen, um in Berlin zu promovieren. Anders als in der Hauptstadt, wo ihr dieses Gesuch verwehrt wurde, ließ die Marburger Universität, nicht ohne Widerstand aus dem Lehrkörper, sie ausnahmsweise zur Promotion zu.
Mit Abschluss dieses Verfahrens wurde sie 1905 bei Prof. Ludwig Bach zur Dr. med. promoviert. Damit war sie in Deutschland die erste Frau, die den medizinischen Doktorgrad regulär erlangte.
Seit 1900 bemühten sich verschiedene deutsche Medizinstudentinnen, die vornehmlich in der Schweiz studierten, darum, dass ihre dortigen Maturitätsexamen mit dem deutschen Abitur gleichgestellt würden und ihnen damit die Zulassungen zum Medizinstudium in Deutschland erlaubt werden würde. Zugleich sollten ihre an Schweizer Universitäten erbrachten Leistungen auch in Deutschland angerechnet werden.
Zwei dieser Frauen waren Hildegard Felsch und Anna Geheeb, die in der Folge einiger für das Fach Medizin getroffener Ausnahmeregelungen 1907 in Marburg zur Dr. med. promovierten.
Die zweite in Marburg promovierte Frau, Dr. jur. Alix Westerkamp sollte ebenso die erste Promovendin ihres Faches in Deutschland werden. Während ihr ein Studium und ein juristisches Staatsexamen 1900 verweigertet wurden, wurde sie als externe Hörerin 1903 zur Promotion zugelassen, die sie 1907 abschloss.
Nicht für die theologische, aber für die vierte und letzte Fakultät der Universität, konnte Frau Lorch-Göllner ebenfalls ein Beispiel anführen: Dr. phil. Doris Hertwig wurde 1908 bei Prof. Wilhelm Vietor an der Philosophischen Fakultät promoviert.
Die jeweiligen Doktorväter nannte Frau Lorch-Göllner bewusst, weil diese, wie viele ihrer Kollegen, als wichtige Befürworter und Unterstützer des Frauenstudiums aufgetreten war.
Auch einige Kritiker und ausgemacht Gegner des Frauenstudiums mussten erwähnt werden, um die Widrigkeiten und bürokratischen Hürden, die die Pionierinnen überwinden mussten, zu illustrieren.
Im Zuge der wachsenden Nachfrage und der verbreiterten Zustimmung zum Frauenstudium (nicht jedoch zur Zulassung von Frauen in akademischen Berufen), und vor allen Dingen der Konkurrenz der anderen deutschen Staaten und dem Ausland (heute würde man wohl vom Brain Drain sprechen), erlaubte der Preußische Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten ab dem WiSe 1908/09 die regelmäßige Immatrikulation von Frauen, schuf aber zeitgleich eine Möglichkeit, Frauen „aus besonderen Gründen“ aus einzelnen Vorlesungen ausschließen zu können.
Mit diesem „Erlaß betreffend die Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium“ endete Frau Lorch-Göllner ihren Vortag. Fortan konnten Frauen in Deutschland regulär, nicht ohne Widrigkeiten und Widerstände, studieren.
Der Vortrag von Frau Lorch-Göllner erscheint ebenfalls im Hessischen Jahrbuch für Landesgeschichte (72). Ab November 2022 ist dieses über das Landesamt oder den Buchhandel zu beziehen sowie in den Bibliotheken der Universität zu finden.
Wir danken Frau Dr. Silke Lorch-Göllner recht herzlich für diesen tollen Vortrag.
Steve Neidel
29.05.2022