Für den zweiten Vortrag unsere Vortragsreihe war es uns eine Freude, Dr. Martin Göllnitz als Referent begrüßen zu dürfen. Nach einer kurzen Vorstellung durch Björn Haselhuhn, Vorstandsmitglied des Fördervereins, referierte Göllnitz zum Thema „Gewalt als Norm? Schlaglichter der Marburger Studierendengeschichte im 20. Jahrhundert“.
Ein gelungener Einstieg gelang mit der Wiedergabe des Songs ‚Wer hat uns verraten?‘ von der Band Antilopen Gang. In dem Lied heißt es:
„Ich erzähl‘ euch eine wahre Begebenheit
Von Wolfgang G. aus Marburg Weidenhausen
Dies ist die Geschichte von Wolfgang
Er hat Anfang der Siebziger in Marburg studiert
Dann entdeckte er den sogenannten Volkskampf
Und hat sich in der RAF organisiert
[…]
Doch es dauerte nicht lang und sie haben Wolfgang gekrallt
Bei der Verhaftung wurd‘ ein Cop abgeknallt“
In diesem Lied geht es um die Geschichte von Wolfgang Grundmann, der durch seine Mitgliedschaft in der RAF und sein Studium in Marburg als Startpunkt des Vortrags diente und neben Ulrike Meinhof, welche auch einige Semester in Marburg studiert hatte, als Beispiel für linksterroristischer Akteur*innen aufgezeigt wurde.
Im Weiteren wurden, so Göllnitz, „Fallbeispiele thematisier[t], anhand derer sich sowohl ideologische Seitenwechsel als auch Radikalisierungsprozesse aufzeigen lassen, die über ein allgemeines Protestverhalten hinausgehen.“ Dabei sei aber festzuhalten, dass die radikalen und gewaltbereiten Studierenden immer eine Minderheit bildeten, aber diese „trug [ihre] Ideen und Ideologien […] wirkungsvoll aus der Gesellschaft an die Hochschule und von dort wieder zurück.“ Die Gewaltausbrüche von Studierenden müssen somit auch im gesellschaftlichen Kontext gesehen werden und seien durch aus bedingt durch Revolutionen, Kriege und politischen Systemwechsel.
Im Zuge des Ersten Weltkrieges war auch unter den Marburger Studenten die Euphorie über bevorstehende Kriegshandlungen groß und viele Studenten meldeten sich freiwillig auch gegen den Rat von Partnerinnen, akademischen Lehrern und ihren Familien. Die Ernüchterung des Frontkampfes setzte aber nach nicht allzu langer Zeit ein, doch war es für viele dann schon zu spät.
Nach dem Ende des Krieges „schwiegen keineswegs die Waffen, vielmehr waren die Anfangsjahre der Weimarer Republik von einem hohen Maß an innenpolitischer Gewalt geprägt“, so Göllnitz. Exemplarisch steht dafür auch das „Massaker von Mechterstädt“, welches auch auf nationaler Ebene als extremes Beispiel für studentische Gewalt in der Weimarer Republik gesehen wird. Bei dem sogenannten „Massaker von Mechterstädt“ exekutierten 20 Marburger Studenten 15 Anwohner des Dorfes Mechterstädt in Thüringen. Die Studenten wurden für die Morde nie juristisch belangt.
Aber auch in den 1930er Jahren kehrte in Marburg keine Ruhe ein. Marburg entwickelte sich zu einer „braunen Hochburg“ und die NSDAP erreicht deutlich höhere Wahlergebnisse als im Reichsdurchschnitt. Geprägt war die Zeit vom „Raudauantisemitismus“ und „Saalschlachten“ um, so Göllnitz, „den ideologischen Raum zu sichern“ und sich in der Stadt durchzusetzen. In der Hochschule habe sich kaum Widerstand gefunden, da der „Lehrkörper vom Kaiserreich geprägt wurde und viele eine antisemitische Einstellung“ vertraten. So habe es auch wenig Raum für die Inspiration zu anderen Denkrichtungen gegeben.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges habe es eine „krasse Linkswendung der Marburger Studierenden“ gegeben, für die es vielfältige Ursachen gab. Zu den Ursachen sei nach Göllnitz zu nennen: „die Diskreditierung des Nationalismus durch die vernichtende Niederlage des NS-Regimes im Zweiten Weltkrieg und die alliierte Politik der Re-Education in der Nachkriegszeit“. Neben der anfänglich schon im Kontext der RAF erwähnten Ideologie, wäre auch noch die basisdemokratische Strömung zu erwähnen, welche durch die „Schlacht auf den Lahnbergen“ im Dezember 1968 in den öffentlichen Fokus rückte.
Abschließend hielt Göllnitz fest, dass „die von Studierenden praktizierte Gewalt doch grundsätzlich eher eine Ausnahme“ darstelle und auf Perioden der Gewalt auch wieder Perioden der Ruhe folgten. Zudem seien die für den Vortrag ausgewählten Themen vor allem jene, welche bereits bekannt sind und bei denen es sich nur um physische Gewalttaten handle, wobei Aspekte der psychischen und sexuellen Gewalt in diesem Vortrag keine Rolle gespielt hätten, doch seien beide auch in vielen Phasen der Geschichte zu finden und nicht weniger relevant.
Wir danken Herrn Dr. Martin Göllnitz recht herzlich für den großartigen Vortrag.
Zuletzt sei noch Dr. Lutz Vogel und Prof. Dr. Sabine Mecking zu danken, die es ermöglicht haben, dass einige ausgewählte Beiträge zu dem Projekt im Hessischen Jahrbuch für Landesgeschichte erscheinen.
Dr. Martin Göllnitz hat aus seinem Vortrag einen Beitrag erarbeitet, der im Jahrbuch nachgelesen werden kann. Die 72. Ausgabe des Hessischen Jahrbuch für Landesgeschichte erscheint im November 2022 und wird dann etwa in der Universitätsbibliothek Marburg, der Bibliothek des Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde und in der Fachschaftsbibliothek zu finden sein. Außerdem ist das Jahrbuch auch direkt beim Hessischen Landesamt oder im Buchhandel zu erwerben. Mehr Informationen zur Veröffentlichung finden Sie auf unserer Seite „Publikation“.
Björn Haselhuhn
05.05.2022