Monika Bunk hat die Besucher*innen des Vortrags auf einen Streifzug durch die Marburger Geschichte, die Geschichte des Judentums in Marburg, mitgenommen. Was dabei am klarsten ersichtlich wurde, ist, dass es so etwas wie das eine Marburger Judentum nicht gibt, weder heute, noch in der Vergangenheit.
Frau Bunk sagte es so: „Es gibt uns gläubig wie atheistisch, traditionalistisch wie progressiv, links wie rechts, reich wie arm, klug wie dumm, kapitalistisch wie kommunistisch, egoistisch wie altruistisch. Wir sind liberal, konservativ oder orthodox, meistens aber paradox.“
Durch diese Perspektive sollten die Zuhörer*innen die letzten 700 Jahre jüdischen Lebens in Marburg kennenlernen und fortan denken.
Eigentlich gab es jüdischen Leben in Marburg schon vor über 700 Jahren, wie auch das erste diesbezügliche Zeugnis, ein Vertrag vom 15. Mai 1317 bezeugt. Lediglich beiläufig wird dort „de[m] Tempel bzw. d[ie] Schule der Juden“ erwähnt, um die Lage des Vertragsgegenstandes, eines zu Verkauf stehenden Hauses, anzugeben. Damals stand die Synagoge an der Judengasse (heute, seit dem 3. Reich, der Schlosssteig) oberhalb des Marktes also bereits. Ein Steinbau, wie ihn sich nur eine etablierte und entsprechend wohlhabende Gemeinde hätte leisten können.
Im Jahr 2002 wurde ein Glaskubus auf die Gebäudereste gesetzt, der die einstige Höhe andeuten soll, denn zum vollen Ausmaß der Synagoge fehlen dem Würfel noch weitere zwei Meter.
Abgerissen worden war der Bau 1452, bis wohin nur wenige schriftliche Zeugnisse zu Marburger Juden vorliegen und auch danach gab es bin ins 17. Jahrhundert hinein wenige Erwähnungen.
In diese Zeit fällt auch die Gründen der protestantischen Universität, nur drei Jahre nachdem die Juden 1524 per Verordnung aus Hessen vertrieben worden waren.
Während die Landgrafen mitunter Juden die Ansiedlung in ihrem Territorien erlaubten, meist der damit einhergehenden Schutzgeldzahlungen wegen, sollen die Marburger Professoren, so Bunk, gegen einen Aufenthalt von Juden in der Stadt ausgesprochen haben.
Die Frage nach jüdischen Studierenden, ob aus der lokalen Bevölkerung oder anderen Territorien, stellte sich im Vortrag für etwa die ersten 200 Jahre der Universität also gar nicht. An der zwischenzeitlich gegründeten Universität Gießen stand erstmals 1697 ein jüdischer Student in den Matrikeln, der als Sohn eines bekannten Arztes und durch Fürsprache des Medizinprofessors Valentini ausnahmsweise zugelassen worden war.
Valentini war es auch, der 1710 über den Juden Meyer Löw schrieb, der bei ihm in Gießen und, wie zuvor zwei weitere Juden, in Marburg studiert haben soll. Die Marburger Matrikel geben hier rüber keine Auskunft. Und auch später fehlte der Hinweis bei Studenten, für die aus anderen Quellen bekannt war, dass sie Juden waren, meist.
Tatsächliche Immatrikulationen mit der Verleihung akademischer Bürgerrechte seien aber erst seit den 1780er Jahren erfolgt. Als 1833 das Kurhessische Emanzipationsgesetz folgte, stieg die Zahl jüdischer Studenten dann erstmals beträchtlich.
Diese kamen vor allem aus jüdischen Stadtgemeinden und nur selten vom, deutlich ärmeren, Land und mussten sich als akademischer Bürger in einer, meist fremden und mitunter feindlichen Umgebung an der Universität orientieren. Ihr soziales Umfeld war nicht nur ihre Kommilitonen und Professoren, sondern zusätzlich die jüdische Stadtbevölkerung, was zu Spannungen führen konnten.
Jüdisches Leben organisierte sich aber nicht nur mit den ortsansässigen Juden, sondern auch im Kreise der Studenten, wo etwa 1906 die erste jüdische Korporation Marburgs gegründet wurde. Auch weil Juden zunehmenden nicht mehr in den deutschnationalen, damit völkisch und antisemitischen traditionellen Korporationen erwünscht waren.
Die braune Hochburg Marburg wurde bis 1933 eine auch immer offenere und gewaltbereite feindliche Umgebung Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden jüdische Hochschullehrer aus ihren Ämtern vertrieben, jüdische Studierenden ausgeschlossen und in allen weiteren Lebensbereichen gegen die Juden vorgegangen. Die Marburger Juden, die das deutsche Reich nicht verlassen konnten oder wollten wurden in der Folge verschleppt und ermordet, bis Stadt und Universität 1942 offiziell „judenfrei“ waren.
Jüdischen Studierenden an der Massenuniversität der Nachkriegszeit, die seit 1945 keine Aufzeichungen über die Religion ihrer Studierenden führt, stellen sich heute noch Hürden: durch die Universität selbst, wenn Prüfungstermine auf jüdische Feiertage gelegt werden, und durch Kommiliton*innen, als etwa, so Bunk, ein jüdischer Student am CNMS „undercover“ studierte, da er befürchten musste, persönlich angegriffen zu werden. Eine Angst, die auch für jüdische Einrichtungen und Veranstaltungen gilt, die auch in Marburg notwendigerweise unter Polizeischutz stehen.
Wir danken Frau Monika Bunk sehr herzlich für den umfassenden und lehrreichen Vortrag.
Steve Neidel
22.05.2022
Monika Bunk stellt eine überarbeitete und erweiterte Version ihres Vortrages zum Nachlesen zu Verfügung, die über folgenden Link abzurufen ist: